AllgemeinesErfahrungenOstseeReparatur

Glück im Unglück

699 Tage bis zum Umzug auf´s Schiff

Todesmutig stieg Thomas in seinem Neopren in die 20 Grad kalte Ostsee um unser Ruder abzutauchen. Es war Mittwoch, der 24.07.2019 09:44 Uhr, in einer Schärenbucht irgendwo im schwedischen Nirgendwo. Als er auftauchte schaute er mich schockiert an und sagte: „Du willst nicht wissen, was ich gerade gesehen habe…!!!“
Wir hatten schon zwei Tage vorher gemerkt, dass mit dem Ruder etwas nicht stimmte. Es war etwas schwergängig und fing irgendwann an zur Backbordseite hin leicht zu blockieren. Da wir keine Grundberührung hatten, was hier in den Schären, wegen der vielen Steine die oft kaum erkennbar, knapp unter der Wasseroberfläche liegen, gar nicht so selten vorkommt, vermuteten wir, dass sich ein Seil oder Ähnliches in der Ruderanlage verfangen hatte. Leider weit gefehlt. Unser Ruder war, wodurch auch immer, aus der unteren Aufhängung gehebelt worden und hing an der Rumpfbefestigung, ca. 15 cm nach Backbord verbogen, neben dem Kiel. Ach du Sch…..! Was jetzt???? Das Boot muss aus dem Wasser! Wo ist der nächste Hafen mit einem Kran der 13 Tonnenschiffe heben kann???? Wie weit können wir überhaupt mit dem kaputten Ruder noch fahren???? Lässt sich das reparieren???? Ist unsere Reise hier vielleicht schon zu Ende???? Mittelschwere Panik machte sich in uns breit. Sowohl auf unseren Seekarten, als auch in Google konnten wir keinen passenden Hafen finden. Arkösund wäre ca 15 sm weg gewesen aber es war für uns nicht herauszubekommen, ob der Kran der Ortsansässigen Werft auch Schiffe unseres Gewichtes kranen kann. Was also tun???? Auf gut Glück diese Strecke zurück fahren? Da hatte Thomas eine Idee. Kurzentschlossen paddelten wir mit dem Dingi rüber zu zwei schwedischen Booten, die mit uns in der Bucht lagen. Vielleicht kannten sie sich ja hier in der Gegend aus.
Thore von der „Ulla Margaretha“ hörte sich unsere Geschichte an, nickte und sagte: „In unserem Hafen gibt es eine Kran der das kann. Das ist keine 2 sm von hier. Wir brechen eh in etwa einer Stunde hier auf, dann könnt ihr hinter uns her fahren.“ Er gab uns die Handynummer des Werftbesitzers den wir sofort anriefen. Johan war zwar gerade im Urlaub aber für ihn kein Problem, er würde einem Kumpel Bescheid sagen, der könnte uns dann heute noch kranen. Wenn wir es nicht selbst reparieren könnten, wäre er allerdings erst am Samstag wieder da, um sich den Schaden anzugucken.
Wow, was für eine plötzliche Wendung. Heute noch kranen in einem 2 sm entfernten Hafen den es laut unseren Karten und laut Kartenplotter gar nicht gibt…?!?! Vielleicht können wir das Ruder ja tatsächlich selbst reparieren, wenn nicht, müssen wir halt bis Samstag oder falls Ersatzteile bestellt werden müssen, bis Anfang nächster Woche dort liegen, was natürlich unser Vorhaben, am 05.08. in Kopenhagen zu sein, um Thomas Tochter Livke an Bord zu nehmen gefährden könnte, aber mit kaputtem Ruder könnten wir ja auch nicht weiter… Wir sagten also unserem Bootsnachbarn, wie auch dem Werftbesitzer zu.
Eine Stunde später tuckerten wir der „Ulla Margaretha“ hinterher mit Echolot und angehaltenem Atem, denn laut aller unserer Karten fuhren wir auf ein Nichts zu, das in 1 Meter Wassertiefe lag. Plötzlich tauchten Fahrwassertonnen auf und kurz darauf konnte man Masten sehen. Unglaublich! Es gab diesen Hafen, der in keiner Karte steht tatsächlich. Und da stand wirklich ein Kran und auf dem Kran stand eine Tonnenschild mit einer wunderbar große n 16. Was für ein Glück!!! Wir riefen Johan an, der sofort seinen Kumpel schicken wollte. Kurz drauf kam noch Thore mit seiner Frau und fragte besorgt, ob wir genug zu essen und zu trinken hätten. Der nächste Ort und Supermarkt wäre 20 km weg und es gäbe hier draußen keinen Bus. Sie könnten uns gern was besorgen, gaben uns ihre Handynummer und sagten, wir könnten jeder Zeit anrufen, wenn was wäre… Sie wünschten uns viel Glück für die Reparatur. Unfassbar, diese Schweden…!!! ? Endlich kamen unsere Schnapsfläschchen zum Einsatz, die wir auf Anraten von unseren Freunden Sanni und Jens gekauft hatten und die, als „Dankeschön“ bei den von hoher Alkoholsteuer geplagten Schweden, allgemein sehr gut an kommen.
Kurz drauf kam Patrik. Der tiefenentspannte, junge Mann tüftelte nun fast zwei Stunden mit uns zusammen am Kran und am Boot herum. Er hob unsere Tosimotu mindestens 15 Mal ein Stück raus und wieder rein ins Wasser während wir die Tragegurte hin und her schoben, ein Stag nach dem anderen lösten, bis endlich alles passte und die 13 Tonnen sicher aus dem Wasser an Land auf den Bock gesetzt werden konnten. Puh, und das alles bei gefühlten 50 Grad im Schatten. Wir tranken mit Patrik noch ein wohlverdientes Bier und schenkten auch ihm zwei Dankeschön-Fläschchen, bevor er wieder zur Arbeit fuhr.
Ein kritischer Blick auf das verbogene Ruder ließ bei uns Hoffnung aufkeimen, es selbst reparieren zu können. Hohle Klopfgeräusche sagten uns, dass kein Wasser ins Ruder eingedrungen war und da auch die Ruderwelle nicht beschädigt zu sein schien, trauten wir uns das Ruderblatt ganz vorsichtig, um keinen weiteren Schaden an der verbogenen Aufhängung zu provozieren, Stück für Stück wieder zurück zu biegen. Wir hoben von innen den Koker an, und setzten das Ruder wieder auf den Metalbolzen, von dem es runtergesprungen war. Plötzlich klopfte es von außen an den Rumpf. Ein anderer Kumpel von Johan hatte gehört, wir hätten Probleme mit dem Ruder und er war vorbei gekommen um zu gucken, ob wir Hilfe bräuchten. Dieser Freund fand dann auch den Ablass der Fettleitung der Stopfbuchse, um das Ruder wieder runter zu lassen, damit es nicht wieder von dem Bolzen springen kann. Natürlich wollte er kein Geld, er sein nur so vorbei gekommen um uns zu helfen… Ich sagte glaube ich schon: Unglaublich, diese Schweden…?!!! Nachdem wir auch ihm mit unseren Flüssiggeschenkchen eine Freude machen konnten, riefen wir wieder bei Kran-Patrik an, der versprach, in etwa einer Stunde zu kommen, um uns wieder ins Wasser zu lassen. Wir kontrollierten von innen und außen genau ob nirgendwo Wasser eindringt, aber alles war dicht. Einen kurzen Schreckmoment gab es allerdings noch, als sich der Kran plötzlich nicht weiter in Richtung Wasser drehen wollte, weil sich ein Zahnrad verklemmt hatte. Thomas und Patrik konnten aber Gott sei Dank durch kräftiges Ziehen an den Festmachen, wodurch sie den Kran und unser Boot per Muskelkraft drehten, die Blockade wieder lösen. Der Rest des Zuwasserlassens ging dann super schnell! Als wir nach der Bezahlung fragten, sagte Patrik, dass Johan uns die Rechnung mailen würde, wir sollten nur unsere Mailadresse da lassen…!?!? In Deutschland wäre sowas kaum denkbar. Hier in Schweden hingegen wird Vertrauen gross geschrieben und scheinbar selten missbraucht.

Um 19:15, nicht mal 10 Stunden nach unserer schockierenden Feststellung vom Morgen, ließen wir, geschafft aber glücklich und unendlich erleichtert darüber, soviel Glück im Unglück gehabt zu haben, den Anker in der Nähe unserer Ankerbucht vom Morgen fallen. Wir waren noch immer ganz geflashed von so viel Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und entspannter Gelassenheit die uns heute wie selbstverständlich von all diesen tollen Menschen aus Schweden entgegen gebracht wurde. Vielen Dank nochmal an Euch alle aus dem „Secret-Habour“ mit dem Namen Björnö!!!

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